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Geschichte

Seit der Steinzeit besiedelt

Mit den archäologischen Ausgrabungen im Jahr 2009 unterhalb des Schlosses Sonnenberg wurde der Glaube, Stettfurt sei im Jahre 827 in die Geschichte eingegangen, arg erschüttert. Die 300 kg Gefässscherben und 150 kg Tierknochenfragmente beweisen, dass unserer heutiges Gemeindegebiet bereits zur Zeit der Pfahlbauer bewohnt ist, also seit mindestens 4'000 Jahren.

Im Jahre 827 erschien der Name Stettfurt zum ersten Mal schriftlich. Gemäss einer sanktgallischen Urkunde schenkte Immo, ein reicher Alemanne, dem Kloster St. Gallen Güter samt Hörigen in Stettfurt – Stetivurt genannt – für sein Seelenheil und jenes Kaiser Ludwigs des Frommen, seines Vaters Hunolfs und seines Bruders Folrit. Immo dürfte dem Immenberg auch zu seinem Namen verholfen haben.

Kaiser, Landvögte und Schlossherren

Unter Karl dem Grossen entstand eine tausendjährige Gesellschaftsordnung, welche bis zur Helvetik (1798 – 1803) auch in Stettfurt galt. Was uns heute der Bund, der Kanton und die Gemeinde sind, waren im Mittelalter der Kaiser, der Landvogt und die Herren auf Schloss Sonnenberg. Zwischen 1273 bis 1499 stellten die Herzöge von Habsburg die Landvögte im Thurgau. Das Haus Habsburg versuchte während 200 Jahren, seinen Einfluss gegenüber den Eidgenossen durchzusetzen. Das führte zu einigen Schlachten, zu denen der Thurgauer Adel und damit auch die Ritter des Sonnenbergs aufgeboten wurden. Sie verliessen das Schlachtfeld stets als Verlierer und mussten dafür mit dem Tod und dem Plündern und Abfackeln des Schlosses büssen, so 1407 und 1444.

1403 erwarb Margaretha von Blumenstein die Herrschaft Matzingen, 53 Jahre nachdem Ulrich II. in der Zürcher Mordnacht umkam. Die Herrschaft erreichte mit Matzingen, Stettfurt und Kalthäusern ihre grösste Ausdehnung.

Zwietracht mit Folgen

Die heutigen Gemeindegrenzen entsprechen ziemlich genau den ehemaligen Herrschaftsgrenzen. Während der Helvetik wurden die Bezirke und die Gemeinden festgelegt. Stettfurt, Matzingen und Kalthäusern bildeten eine Gemeinde. 1817 nahm die kantonale Organisationskommission die Trennung vor. Sie erfolgte mit der Begründung, «… dass unter diesen Gemeinden immer wieder Zwietracht und Uneinigkeit herrschten». Kalthäusern wurde zu Lommis geschlagen.

Abhängig von der herrschaftlichen Gnade

Das Schloss Sonnenberg diente im Mittelalter als Gemeindehaus. Während dieser Zeit wurden die Menschen privatrechtlich von selbsternannten Personen regiert. Die Dorfbewohner konnten darauf kaum Einfluss nehmen und waren auf den Goodwill der Herrschaft angewiesen. Zwischen 1240 bis 2007 thronten neun Besitzer oder Besitzerfamilien auf dem Schloss Sonnenberg: sieben Adelige, ein Bürgerlicher und zuletzt und am längsten die Geistlichkeit, nämlich von 1678-2007 das Kloster Einsiedeln. 

Rebhänge über dem sumpfigen Tal

Das Kloster Fischingen und die Komturei Tobel besassen als Grossgrundbesitzer eigene Höfe. Das dörfliche Leben spielte sich zwischen dem Leimbach und der Wasserfuri auf den drei Bewirtschaftungsflächen Leimbach-, Lauchen- und Lettenzelg und natürlich im Rebberg ab. Die Dorfgemeinde bestimmte, was auf diesen Feldern im jährlichen Turnus angepflanzt wurde. Während Jahrhunderten prägten der von Halingen bis Zezikon durchgehende Rebberg, die Dreifelderwirtschaft und der sumpfige Talgrund die Landschaft.

Die Bauernhöfe standen mehrheitlich beidseits des Dorfbaches. Zu einer Hofstatt gehörten nebst Haus und Scheune ein Baum-, ein Kräuter- und ein Gemüsegarten. Stettfurter Bauern pflegten die Reben und kelterten den Wein, auch für auswärtige Rebbesitzer wie die Klöster Fischingen und Magdenau sowie den Spital in Wil.

Milch und Obst

Im 19. Jahrhundert änderte sich das Bild radikal. Das kalte Klima sorgte für den Niedergang des Rebbaus. Die Reblaus, zum ersten Mal im Thurgau am 30. Oktober 1896 am Immenberg entdeckt, versetzte dem Rebbau im ganzen Kanton den Todesstoss. Die Importe von Wein und Weizen brachten den Wechsel zur Milchwirtschaft und zum Obstbau.

Pendlerstrom von der Idylle nach Zürich

Zu dieser Zeit wurden das Thur- und Murgtal sowie das Fürstenland mit der Eisenbahn erschlossen. Davon vermochte Stettfurt nicht zu profitieren. Es siedelte sich im Lauchetal keine nennenswerte Industrie an. Die um 1970 eröffnete Autobahn A1 löste einen Pendlerstrom in den Raum Zürich aus. Die Pendler entdeckten die Vorzüge des gut erschlossenen, aber noch idyllischen Dorfes.

Mit Gottes Hilfe

Vor der Reformation war Stettfurt nach Wängi kirchgenössig. Das gilt für die Katholiken bis heute. Die Kirchenstuhlordnung des Jahres 1718 der paritätischen Kirche benachteiligte namentlich die Reformierten von Stettfurt. Am 6. Februar 1727 beschlossen sie, «mit Gottes Hilfe eine eigene Kirche zu bauen».

Warten auf eine Pfarreistelle

Dank der tatkräftigen Unterstützung des Standes Zürich durfte das mehrheitlich reformierte Dorf 1746 eine eigene Kirche einweihen. Das Drängen auf eine eigene Pfarreistelle kam bei der zürcherischen Kommission für kirchliche Angelegenheiten nicht gut an.

Es brauchte den Einsatz des damaligen bernischen Landvogtes Emanuel Tscharner, dass 1752 endlich auch die Pfarreistelle bewilligt wurde. Die Reformierten dankten es ihm, indem sie ihm das Kollaturrecht, das Recht auf die Bestimmung des Pfarrers, schenkten. Emanuel Tscharner vermachte dieses Privileg vor seinen Tod 1777 seinem Sohn. Dieser trat es 1793 der Kirchgemeinde ab.

Das ehemalige Pfarrhaus erhielt deshalb nach dem Kauf und der Renovation durch die Politische Gemeinde und die Kirchgemeinde 2011 den Namen «Tscharnerhaus».

Unterricht in der Wohnstube

Die erste Nachricht einer Schule in Stettfurt stammt aus dem Jahre 1649. Zürich übte die behördliche Aufsicht über die Lehrer und reformierten Pfarrer im Thurgau aus. Nach 1752 übernahm der Dorfpfarrer die Aufsicht über den Schulbetrieb. Als Lehrer amtete ein geeigneter Dorfbewohner, welcher seine Wohnstube als Schulstube zur Verfügung stellen musste.

Der thurgauische Erziehungsrat teilte 1857 die katholischen Schüler von Köll und Stettfurt der Schule von Stettfurt zu. Durch Vermittlung des Schulinspektors konnte zwei Jahre später eine paritätischen Schulbürgergemeinde gegründet werden. Wegen der damals üblichen Kinderarbeit wurde während des Sommers nur am Donnerstagmorgen unterrichtet und von Martini bis Ostern täglich vormittags und nachmittags.

Ältestes Thurgauer Schulhaus

Nach der Gründung des Kantons Thurgau 1803 wurde das Schulwesen grundlegend neu organisiert. Das im Jahre 1809 eingeweihte Schulhaus in Stettfurt ist das älteste im Thurgau, welches immer noch dem ursprünglichen Zweck dient.

Prägende Familie Bachmann

Die Familie Bachmann nahm zwischen 1714 bis 1943 eine dominierende Stellung im Dorf und Kanton ein. Ihre Exponenten wurden in Heidelberg und Paris ausgebildet und bekleideten höchste politische und richterliche Ämter. David Bachmann wirkte ab 1803 als erster Gemeindeammann Stettfurts.

Als der Kanton 1867 der Thurgauischen Hypothekenbank das Schloss Frauenfeld verkaufen wollte, um einem modernen Bankgebäude zu weichen, schritt kurzerhand Johann Jakob Bachmann ein und bot 10’000 Franken mehr. Die arg unter Druck geratene Regierung war heilfroh, deshalb ihren Schritt rückgängig machen zu können. Das Schloss blieb in Familienbesitz bis 1948. Die letzte Nachfahrin, Marie Elise Bachmann, schenkte anlässlich der 100-Jahrfeier des Bundesstaates das Schloss dem Kanton.

Auch Stettfurt ging nicht leer aus. 1890 stifteten Johann Jakob und sein Sohn Jakob Huldreich Bachmann, der spätere Bundesrichter, den schlanken Kirchturm samt Geläute. Er ersetzte den kleinen, zwiebelförmigen Dachreiter aus dem Jahre 1746. Die Kirchgemeinde tat sich mit dem noblen Geschenk recht schwer. Der Turm konnte erst 1900 eingeweiht werden.

Das beträchtliche Familienvermögen floss in die «Bachmann‘sche Stiftung». Sie bezweckte im «Richterhaus», dem Sitz der Bachmanns, die Führung eines Heimes auf religiöser Grundlage für «erholungsbedürftige oder vereinsamte evangelische Frauen». Später

wurde es als Altersheim genutzt. Zurzeit ist dort das sozialpsychiatrisches Zentrum «Dialogos» untergebracht.

Musik und Wissenschaft mit Absender Stettfurt

Der schweizweit und international bekannteste Stettfurter Bürger ist wohl Hazy Osterwald (1922-2012), Musiker, Sänger und Orchesterleiter. Mit dem Hit «Kriminaltango» machte er sich 1959 mit seinem Sextett für die damalige Generation unsterblich.

Weniger bekannt, aber auf seinem Gebiet hoch angesehen war der ebenfalls in Stettfurt heimatberechtigte Herbert Lüthy (1918-2002), Publizist und Professor für Geschichte an der ETHZ und der Universität Basel, von der Universität Genf als Ehrendoktor gewürdigt.

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